Also sprach der Macaron
„Wie ein besonders eitel glänzender, ikonischer Dessert-Happen mich lehrte, dass auch dem Misserfolg ein Erfolg innewohnen kann.“
Es ist Corona. Immer noch. Vielleicht auch immer wieder. Wer weiß das dieser Tage schon so genau. Was aber wahrscheinlich recht viele mittlerweile wissen: Die Tage in Corona sind lang. Die Tage in Corona machen schnell knatschende Kaugummi-Geräusche. Die Tage in Corona fangen mit „Das schaffen wir!“ an, und versinken im schlimmsten Fall schon bald darauf in der morgendlichen Kaffeetasse mit „Geh, bitte!“ Aber die Tage in Corona müssen ja auch irgendwie rum. Man hat ja schließlich Zeit. Zum Nachdenken und Reflektieren und Neue-Sachen-Machen. Neue-Sachen-Machen ist das wichtigste überhaupt in Corona, scheint mir. Aber richtig! Brotbacken, anyone? Ja, aber richtig! Einrexen, Einkochen, Fermentieren, Garden-Focaccia? Eh. Nur bitte ordentlich! Zumindest sagen das alle. Und wenn es alle sagen, ist es ziemlich fast sicher wahr.
Meine Lust auf das Neue-Sachen-Machen war zum auslaufenden Jahr jedenfalls recht hoch. Das hat natürlich mit Corona zu tun, ich hatte als Selbstständige und Kinderlose ja so richtig viel „Zeit“. Es hat aber auch damit zu tun, dass das Jahr 2020 mein sorgsam von mir vorgezeichnetes Lebens-Lieblingsbild von der Eingangshalle der Albertina gesprengt hat. So ziemlich alles war in diesem Jahr aus der Ordnung geraten. Ich wollte, dass die Dinge ihre Ordnung zurückbekommen, bevor das neue Jahr beginnt. Etwas schaffen, das mein Lebensbild wieder zumindest bis ins Depot der Albertina bringt. Eine Herausforderung annehmen. Selbstzweifel überwinden.
Ich wollte: Macarons backen.
Ich backe weder gerne, noch gut, aber: Macarons fühlten sich nach Ordnung an. Nach dem heimeligen Duft einer Stadt, meiner Stadt Paris. Nach fluffig-cremigen, bunten Glücksmomenten bei „Fauchon“, wo die süße Pracht zum Jahresende turmhoch zu einem Weihnachtsbaum aufgestapelt wird. Schön gerundet, klein, makellos, brüllen sie einen an: Ich bin perfekt! Friss mich!
Außerdem: Macarons backen, das ist das Ninja-Warrior-Finale der Feinbäckerei. Wer sie backen kann, so, wie Paul Bocuse von ihnen im Grab noch träumt, der wird aufgenommen in die Ruhmeshalle der Süßspeisen-Götter. Das ist übrigens grundsätzlich auch ein verdienter Platz, denn wer nicht gerade zufällig KonditorIn gelernt oder in Paris eine Stage absolviert hat, und auch nachts um halb 4 in traumwandlerischer Sicherheit dem Mandelbaiser zu Leibe rücken kann, wird bei der ersten Zubereitung schnell bemerken: Das ist Fummelarbeit. Perfektionismus muss in diesem Fall so sicher im Kern des Tuns und Wollens stecken, wie die Kaffeebohne im Inneren einer Schokopraline.
Aufgeben ist etwas für Schwächlinge und Feiglinge, für Faule und Selbstzufriedene.
Ich kann das nicht, gibt’s nicht.
Und wenn etwas passiert, das einen trifft, ärgert oder traurig macht, dann schluckt man die Tränen runter, lächelt, richtet sich das Krönchen und tut so, als wäre nichts passiert.
Und weil meine anerzogene Glaubenssätze immer noch große Macht über mich haben, beschäftigte ich mich während der Abkratzerei der rosa Teigfladen gedanklich bereits mit der Frage, was ich jetzt – es war mittlerweile 16.30 Uhr – noch schnell alles beim Billa ums Eck besorgen müsse, um von vorne anzufangen. Gedankenvoll knabberte ich, neugierig wie ich bin, trotzdem noch am letzten Brösel, und ohne es wirklich wahrzunehmen oder es gar zu wollen, breitete sich plötzlich ein ganz anderes Gefühl in mir aus, nämlich: Das schmeckt gut. Richtig gut, eigentlich.
Okay, es ist kein Macaron, es ist noch nicht mal eine Speise, es ist nicht fluffig, es ist nicht schön, aber es schmeckt. Mir.
Ich kratzte die zusammengekratzten Krümel zu einem kleinen Häufchen zusammen, aß alles auf, legte Bruce Springsteen auf, goss mir ein Glas Wein ein, heulte meine Glaubenssätze mit ordentlich viel Rotz und zu „The River“ grölend aus mir raus. Und beschloss, dass es gut war, wie es war. Der Versuch, die Ordnung wiederherzustellen, war zwar gescheitert. Aber wie ließ Nietzsche doch seine Zarathustra einst sprechen: „Man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können.“ Ich nehm das Chaos also fürs Erste einfach mal weiter an.
„Und irgendwann in diesem neuen Jahr werde ich vielleicht noch einmal versuchen, Macarons zu backen. Nur so.
Autorin
Stephanie Fuchs-Mayr
Stephie schreibt für uns die monatliche Gesellschaftskolumne und erzählt uns Geschichten, die in die Tiefe gehen. Und uns so zum Nachdenken anregen. Mehr über Stephie …
Gisela
5. Januar 2021 at 16:21🙌🏻 Hands up für diesen BEITRAG. Danke
Eva
5. Januar 2021 at 18:20Liebe Gisi, freut uns voll, dass Du Dich da wieder finden konntest bzw. Du was mitnehmen konntest. Hab einen guten Start in dieses Jahr!