Der seltsame Fall des Paprikahendls

Der seltsame Fall des Paprikahendls

Was mich die Zubereitung eines Paprikahendls übers Mutigsein lehrte – und warum früher keineswegs alles besser war.“

Ein wenig Schlaumeierei zum Einstieg:

 

Dem Paprikahendl eilt in Österreich der Ruf voraus, ein typisch ungarisches Gericht zu sein. Das ist so nicht ganz richtig, auch, wenn es natürlich ins stereotypische Narrativ über die Küche unserer Nachbarn passt. Das geht nämlich so: Ein Gericht, in dem Paprikapulver eine tragende Rolle spielt, wurde in Ungarn ersonnen. Steht schließlich auch in allen K&K-Monarchie-Kochbüchern! Aber wie heißt es so schön: Wer nichts weiß, muss alles glauben, und deshalb ist es an dieser Stelle ratsam, dem Glauben daran, dass Paprikahendl eine ungarische Erfindung ist, abzuschwören, und die Tatsache zu akzeptieren, dass es Auguste Escoffier – ja, genau, der Franzose! – war, der dieses Gericht als Poulet au Paprika auf Basis des (echt ungarischen) Pörkölt anlässlich der französischen Weltausstellung 1900 kreierte.

 

Nun vom Wissen zum Gefühl.

 

Ich liebe dieses Gericht. Dieses Gericht IST Liebe. Es vereint alle Geschmacksrichtungen in sich, die ein harmonisches, rundes Gericht ausmachen: salzig, süß, sauer, leicht bitter. Es vereint zwei wunderbare Konsistenzen in sich – knusprig-knackige Hendlhaut, zartes Fleisch. Es schwimmt in einer molligen Sauce, es dampft, es duftet, es leuchtet. Und ein Paprikahendl so zuzubereiten, dass eine Welle der Zufriedenheit über den Tellerrand hinaus den Raum flutet, ist eine Kunst.

Bei der man, so dachte ich zumindest bis zu diesem Tag, besser kein Risiko eingeht.

An diesem Tag aber – es war ein Jännermontag, wie er im Buche steht, kalt, grau, feucht, düster – entschied ich mich gleich in doppelter Hinsicht fürs Risiko. Ich beschloss, für jemanden, der seinen Lebensunterhalt seit über 20 Jahren mit Kochen verdient, und es in dieser Disziplin zu mehreren Sternchen und Hauben gebracht hat, ein Essen zuzubereiten. Und ich beschloss, Paprikahendl zu kochen. Aber nicht so, wie ich es all die Jahre über gekocht hatte, streng nach dem Sacher-Kochbuch-Rezept, diesem Winner-Dinner, das immer geht – und immer gut geht.

 

„Woher eigentlich dieses plötzliche, fast schon übermütige Selbstvertrauen, junge Frau?“, dachte ich kurz still bei mir, während ich die Vorratskammer des Kochs durchforstete (Hühnerfond? Fehlanzeige. Sauerrahm? Nur in steirischen Haushalten immer vorrätig. Petersilie? Nope. Dafür hatte der Koch eine bereits seit 48 Stunden vor sich hin köchelnde Minestrone am Tischherd stehen und Wein im Kühlschrank … ). Ich, die seit gefühlten Monaten nicht mehr für jemanden gekocht hatte, der es an Routine fehlte, verlasse hier fast schon selbstverständlich den Pfad des Vertrauten und Gewohnten und nehme in Kauf, einem Spitzenkoch ein Essen zu servieren, das – wie so viele, vermeintlich einfache Gerichte – durchaus Katastrophenpotenzial hat?

Während ich, konzentriert, aber immer noch latent verunsichert, die Hendlschenkel mit Salz massierte, die Zwiebel schnippelte und den Backofen andrehte, fiel mir ein Satz ein, den der Koch vor einiger Zeit bei einem der vielen Gespräche, die wir übers Kochen und Essen bis dahin geführt hatten, zu mir gesagt hatte. „Beim Kochen gibt es Grundregeln, und es gibt Kniffe. Beides kann man lernen, und es ist wirklich nützlich, sie zu kennen. Aber ohne Vertrauen auf den eigenen Geschmack, die eigene Intuition, das eigene Gefühl und den Mut, das Ding rauszuhauen, wenn es sich für einen selbst perfekt anfühlt, ist das beste Rezept der Welt und all das Wissen nichts wert.“

 

Ausgestattet mit diesem Satz, dem, was ich bislang von Eva und vom Sacher-Kochbuch übers Paprikahendlmachen wusste, dem, was ich von Escoffier und vom Koch übers Kochen erst kürzlich erfahren hatte, dem, was ich an Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und die eigene Zunge in mir vergraben hatte und dem, was mir an diesem Tag in puncto Zutaten zur Verfügung stand, haute ich also raus.

 

Schweigend saßen der Koch und ich später am Abend am Tisch, vor uns das Paprikahendl, mein Paprikahendl, das neue Paprikahendl, das Stephie-Hendl. Der Koch lächelte, weil er sich freute, dass jemand für ihn gekochte hatte, endlich einmal. Ich schwitzte, weil ich kurz fürchtete, der Koch würde möglicherweise wünschen, ich hätte niemals für ihn gekocht. Schweigend tauchten unsere Löffel ab, in diesen rosa-organgefarbenen Ozean voller Unbekannten, man hätte eine Stecknadel fallen hören können. Aber es gab auch nichts zu sagen, in diesen ersten 60 Sekunden, denn: Es war das pure, nackte Glück, das da auf meiner Zunge (und, so sagte der Koch am Ende, auch auf seiner, und an seinem Gesicht glaubte ich ablesen zu können, dass er es meinte, wie er es sagte) zerschmolz. Buttrig. Zitronig. Süß. Gemüsig. Frisch. So ganz anders, als ich dieses Gericht in meiner Geschmackserinnerung abgespeichert hatte. Aber so viel aromatischer, eleganter, geschmeidiger, besser. Wie gut, dachte ich, als der Teller leer und das Herz voll war, dass ich dieses Mal „Nein“ zum Vertrauten und „Ja“ zum Neuen gesagt habe. Denn auch, wenn früher Vieles gut war: Im Jetzt darf es anders werden. Und besser.

 

Ein wenig rein persönliche Schlaumeierei zum Abschluss: Die Hendlteile wanderten nach dem Anbraten mit dem Minestrone-Wein-Zwiebel-Fond in den Backofen und schmorten dort abgedeckt 25 Minuten. Die Sauce hab ich danach durch ein Haarsieb passiert, mit einem Stabmixer aufgemixt, Butter einmontiert, mit Xantana leicht gebunden, mit ordentlich Zitronenzesten und Cayennepfeffer abgeschmeckt und mit einem Schuss Sahne verfeinert.

„Wie gut, dachte ich, als der Teller leer und das Herz voll war, dass ich dieses Mal „Nein“ zum Vertrauten und „Ja“ zum Neuen gesagt habe. Denn auch, wenn früher Vieles gut war: Im Jetzt darf es anders werden. Und besser.“


 

Stephanie Fuchs

Autorin

Stephanie Fuchs-Mayr

 

Stephie schreibt für uns die monatliche Gesellschaftskolumne und erzählt uns Geschichten, die in die Tiefe gehen. Und uns so zum Nachdenken anregen. Mehr über Stephie …

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