Die Macht der Makellosen

Die Macht der Makellosen: Das Wettrüsten mit dem Mädchen von Nebenan

Instagram hat sich zur ultimativen Bühne des inszenierten Daseins gemausert, auf der Lebenswirklichkeiten geformt werden, die kein Scheitern und keine Makel erlauben. Schade, eigentlich.

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Ich habe Jessie Bush getroffen, in einem Strandresort auf Sri Lanka, in dem ich im Bungalow neben ihr wohnen durfte. Ich habe sie still beobachtet, wie sie ihren Kleidergröße-20-Körper täglich drei Mal in ein neues, aufregendes Outfit steckte. Ich habe ihren Mann beobachtet, der sie mindestens so oft fotografierte. Am Pool. Am Strand. Beim Abendessen. Beim Mofa-Ausflug. Beim Schildkrötenstreicheln.

 

In Jessie Bushs Leben, dachte ich mir damals, lacht immer irgendwie die Sonne. Ich war ein bisschen neidisch auf Jessie Bush. Und noch neidischer, als ich begann, ihren Instagram-Account zu stalken. Auf „wethepeoplestyle“ erschafft diese Frau mit dem ausgesprochenen Talent zum beiläufig wirkenden Herumfläzen auf Vintage-Sesseln in über 4000 Beiträgen eine Welt voll paradiesischer Strände, Designerklamotten-Musts und glücklicher Momente mit Mann, Hund und neuerdings auch bald Kind.

 

Alles, was Jessie Bush tut, trägt, trinkt oder auf ihren Körper schmiert, ist irgendwie relevant – und erstrebenswert. Das finden auch ihre 550.000 Abonnenten, und belohnen ihre Bemühungen um Bilder, die beweisen, dass sie gerade sehr schön verreist oder einfach nur neue Gucci-Schuhe trägt, mit freundlich knappen Worten wie „Amazing!“ oder „Perfection!“.

„Da packt Frau Ottonormal schnell der Neid auf so viel schönes Leben, gepaart vielleicht mit ein bisschen Wut auf die eigene vermeintliche Mittelmäßigkeit.“

In der man nicht im Interior-Design-Traum sondern in normalen Zimmern wohnt, sich morgens minder fotogene Stullen schmiert statt Latte-Art zelebriert, und die Yoga-Posen sich nach einem Arbeitstag und mit zwei Kindern auf Verrenkungen vor der Waschmaschine beschränken. In der man nicht im Interior-Design-Traum sondern in normalen Zimmern wohnt, sich morgens minder fotogene Stullen schmiert statt Latte-Art zelebriert, und die Yoga-Posen sich nach einem Arbeitstag und mit zwei Kindern auf Verrenkungen vor der Waschmaschine beschränken.

 

Was amüsant und irgendwie auch erst mal gar nicht so bedrohlich für das eigene Wohlbefinden klingt, hat tatsächlich Auswirkungen auf unsere Psyche. In Zeiten, in denen 700 Millionen Menschen über einen Instagram-Account und 2,1 Milliarden über ein Facebook-Profil verfügen, ist die tägliche Online-Erfahrung zweifelsohne so prägend für unser Selbstbild – und unsere Selbstakzeptanz – , wie Offline-Interaktionen. Soziale Netzwerke machen uns die kontrollierte, permanente, geschönte Selbstdarstellung so einfach, wie nie. Und weil niemand gerne Fotos von sich mit strähnigen Haaren oder Speckröllchen postet, sind wir auf Instagram auch fast nur noch mit aufregenden, schönen, erstrebenswerten Leben der anderen konfrontiert.

Mit Leben wie dem von Jessie Bush, die weder steinreich, noch außerirdisch schön oder in irgendeiner Alltagsdisziplin außergewöhnlich erfolgreich ist – und trotzdem ein Idol der Gegenwart. An ihren und den vielen anderen, ausgestellten Idealen – sei es jetzt der schlanke #afterbabybody (155.000 Posts) oder der die beste #workoutmotivation 17.701,285 Posts) – messen wir uns. Unterbewusst, aber konstant.

Wettrüsten mit dem Mädchen von nebenan.

Jetzt ist der soziale Vergleich  an und für sich nichts Außergewöhnliches. Eine Studie an der Universität Graz hat etwa gezeigt, dass vergleichende Urteile beim Betrachten eines Bildes innerhalb von 115 Millisekunden getroffen werden. Sozialer Vergleich ist ein unvermeidbarer Prozess, der unserer Selbsteinschätzung dient, motiviert, unser Selbstwertgefühl erhöhen soll. Dabei suchen wir uns Vergleichsstandards, die uns sinnvoll erschienen. Soll heißen: Wir tendieren dazu, uns nicht mit den Kardashians dieser Welt zu vergleichen, sondern mit Menschen, die uns in punkto Lebensentwurf, Bildung oder Status ähnlich sind. Menschen, die uns eigentlich ähneln, deren Lebensumfeld aber viel attraktiver scheint. Gemessen an deren Leben, wirkt das eigene schnell ziemlich langweilig und grau.

 

Genau darin liegt die größte Bedrohung fürs eigene Selbstwertgefühl. Denn wie wir alle üben unsere Instagram-Connects über ihre eigene Darstellung im Netz große Kontrolle aus, sie präsentieren ein Bild von sich selbst und ihrer Welt, das immer toll und meistens aufregend ist.  Was Influencern wie Jessie Bush so große Wirkung verleiht, ist das Bild des Mädchens von Nebenan. In deren Leben es aber scheinbar keine wenig beneidenswerte Alltagsaufgaben wie Rechnungen begleichen, Kinder wickeln oder das Chaos von der letzten Party beseitigen gibt. Bleibt die Frage: Warum hat diese, eigentlich mir nicht so unähnliche Person, so ein tolles Leben? Und wir kann ich es schaffen, mein Leben entsprechend zu optimieren?

 

Es ist eine enorme Herausforderung – vor allem für Frauen, und zwar altersunabhängig – diese normierten Lebensentwürfe, denen wir in sozialen Medien begegnen, als das zu begreifen, was sie tatsächlich sind: blankpolierte Oberflächen, wo Unsicherheiten, Ängste, die herausfordernden Seiten des Lebens immer noch tendenziell ausgespart werden.

 

In einem digitalen Leben die richtige Balance zwischen Inspiration und Frust oder Minderwertigkeitsgefühlen zu finden, ist nicht ganz einfach – aber möglich. Ich für meinen Teil empfinde es als extrem herausfordernd, aber auch als befreiend, auf meinem Instagram-Account (zugegeben: meist in den Stories) hin und wieder mit der Welt zu teilen, was ist. Abendbrot-Foto von Vier-Diamanten-Thunfisch aus der Dose statt hübsch ausgeleuchtete, selbstgebackene Nusskranzerln. Das Selfie, auf dem das Doppelkinn nicht mal mit Schwung zu leugnen ist. Es gelingt mir selten, diese Hürde zu nehmen. Aber ich will lernen, sie öfter zu nehmen.

„Weil mein unaufgeregtes Leben und mein unaufgeregtes Ich in Wahrheit schön genug sind, um es guten Gewissens mit der Welt zu teilen.“


 

Stephanie Fuchs

Autorin

Stephanie Fuchs-Mayr

 

Stephie schreibt für uns die monatliche Gesellschaftskolumne und erzählt uns Geschichten, die in die Tiefe gehen. Und uns so zum Nachdenken anregen. Mehr über Stephie …


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