Klartext im Dezember

Einsichten von Kathrin im Dezember

Atemnot im Weihnachtskorsett

Die Plätzchen meiner Mutter. Seit ich denken kann, steht das kleine Gebäck repräsentativ für zwei unumstößliche Tatsachen. Zum einen sind sie Zeugnis für die Akkuratesse meiner Mutter beim Backen. Keines wagt, optisch aus der Reihe zu tanzen, geschmacklich garantieren sie die immer gleichen, fein ausgewogenen Kompositionen aus Gewürzen, Nüssen, Schokolade und Co. Kurz und gut, die Weihnachtsleckereien meiner Muttern sind Meisterwerke der Backkunst. Muskaziner, Kissinger, Nougathörnchen, Florentiner, Baumkuchen, Schokoladenbrot und viele mehr stehen für Perfektion und Tradition, für Sorgfalt und Hingabe, und niemand würde vermuten, weder sehen noch schmecken, dass meine Mutter Backen hasst. Leidenschaftlich hasst. Denn auch dafür stehen ihre Plätzchen: für Materie gewordene Abneigung.

 

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Sie mag generell kein Gebäck, kostet nie ihre eigenen Kreationen, meidet Kuchen, Sü.es und Schokolade. Und trotzdem stand sie in der Vorweihnachtszeit tagelang in der Küche, knetete Teig, walzte ihn platt, stach Formen aus, verzierte. Nicht fröhlich „Alle Jahre wieder“ trällernd und die Hände heiter an der Schürze abwischend, sondern bis zu den Mehl bestäubten Fingerspitzen vollgepumpt mit Stress und schlechter Laune. Verständlich, wenn man etwas tut, das man eigentlich nicht tun will, nur weil man denkt, man muss. Meine Mutter dachte zu müssen. Backen hat in ihrer Familie Tradition. Ihre inzwischen verstorbene Mutter und auch die beiden Schwestern galten als begnadete Backfeen und besonders zur Weihnachtszeit versuchten sie, diesem Ruf in einem Ausmaß gerecht zu werden, das mehr Arbeit war als Vergnügen. Zum großen Finale des internen Wettbackens wurden an Heiligabend mit Goldsternen verzierte Plätzchentüten getauscht und kritischen Auges die Resultate der anderen begutachtet. Die Regularien waren streng, beurteilt wurden Form, Geschmack und vor allem Anzahl der präsentierten Sorten.

„Ein stiller Kampf mit Mehl und Kuvertüre, heimliches Ringen um „Je mehr, desto besser“.“

Lange glaubte ich, die Fußstapfen meiner weiblichen Verwandten warteten nur darauf, von mir betreten zu werden, ja, sah es förmlich als Pflicht, nachzueifern, mitzumischen, abzuliefern. In der ersten eigenen Küche wälzte ich Backbücher, studierte Rezepte und erstellte mir eine stattliche Liste, die es in der Vorweihnachtszeit abzuarbeiten galt.

 

Als Abbild meiner Mutter wedelte ich mit hochrotem Kopf zwischen Kühlschrank und Backofen, verbrachte Sonntage vor Blechen, statt mit meinen Freundinnen am Glühweinstand der hiesigen Weihnachtsmärkte. Stolz steuerte ich an Heiligabend prall gefüllte Tütchen der Familien-Tauschrunde bei, fieberte dem Urteil der Backfeen entgegen und fühlte mich geschmeichelt, als es Lob hagelte. Und nahm mir insgeheim vor, im nächsten Jahr noch einen Zacken zuzulegen. Ohne zu reflektieren stülpte ich mir die Traditionen der Frau über, die maßgeblich dafür verantwortlich war, dass Weihnachten jede sJahr ein perfektes, stimmungsvolles, kulinarische befriedigendes Familienfest wurde.

Meine Mutter war es, die das Haus schmückte, gelockte Engel auf Regalen verteilte und duftende Kerzen auf den Adventskranz steckte. Meine Mutter war es, die dafür sorgte, dass am 1.Dezember ein gut gefüllter Kalender in meinem Kinderzimmer hing, sie war es, die heimlich Herzenswünsche besorgte und glänzend verpackt unter den Weihnachtsbaum legte. Sie war Herrin über die Plätzchendosen, und achtete streng darauf, dass niemand sich vor Heiligabend daran bediente. Sie kümmerte sich um das traditionelle Fondue, bestellte Suppenfleisch und zartes Rinderfilet, schnippelte unzählige Salate und schmeckte Soßen ab. Sie sorgte für eine Weihnachtsroutine, die half, die kindlich sprudelnde Aufregung beim Warten auf das Christkinds zu ertragen. Sie dirigierte meinen Vater am Weihnachtsmorgen in den Garten, um den Baum zurechtzusägen und im Wohnzimmer aufzustellen. Sie scheuchte meinen Bruder und mich nach dem Schmücken in die Badewanne, legte die schönsten Kleider zurecht, und erlaubte uns, bis zur Kindermette am Nachmittag, Astrid Lindgren Filme zu schauen. Ich liebte diese Rituale und wollte jedes einzelne gleichermaßen für meine zukünftige Familie übernehmen.

 

Und eines Tages, so nahm ich mir vor, wollte ich meiner Mutter in meinem eigenen Haus ein Weihnachtsfest bescheren, so festlich perfekt, wie ich es in meiner Kindheit erleben durfte. Der Tag kam und mit ihm das erste Weihnachten in unserem neu gebauten Haus. Ich kaufte Fondue-Teller und ein Fondue-Set, bestellte – um bei der Qualität auf Nummer sicher zu gehen – das Suppenfleisch für die Brühe beim gleichen Metzger wie meine Mutter, legte den Spargel nach ihrem Rezept ein. Ich versprach den Kindern Bullerbü nach der Badewanne, bat sie, ihre feinen Kleider auf dem Sofa nicht zu zerknittern und die akkurat gescheitelten Lockenköpfe nicht zu sehr zu verwuscheln. Ich warf meine beste Tischdecke über den Tisch, weiß, mit aufwendigen Stickereien, deckte liebevoll mit Tannenzweigen, Kugeln und Kerzen und platzierte als Mittelpunkt den neuerworbenen Fondue-Topf in der Mitte. Alle so wie früher zu Hause, mit dem Anspruch, es noch einen Hauch besser zu machen, noch feierlicher, noch edler, noch geschmackvoller. Und genau das war der Punkt, an dem das große Scheitern begann.

Es fing an mit der Brennpaste. Als ich meinen Mann bat, sie für den Abend bereitzulegen, sah er mich mit großen Augen an. „Welche Brennpaste?“ Es dauerte einige Zeit, bis ich alle Freunde angerufen und Brennpaste organisiert hatte. Eine kleine Irritation, versuchte ich mich zu beruhigen, mehr nicht. Nichts, was den Glanz des Abends trüben könnte. Voller Zuversicht scheuchte ich die Kinder vom Sofa in die Kindermette. Sie sollten den Zauber der Weihnacht spüren, so wie ich ihn in als Kind in der festlich beleuchteten Kirche gespürt hatte, wenn die pathetischen Orgeltöne mich mit einem Gefühl von Halleluja und Feierlichkeit durchströmten und ich vor Vorfreude zitterte, weil ich wusste, dass das Christkind in unserer Abwesenheit auf magische Weise Geschenke unter den Baum geschmuggelt hatte. Das einzige Gefühl jedoch, das meine Kinder während des Gottesdienstes übermannte, war Hunger. Schlimmer Kinderhunger, den von der Ich kann es nicht mehr aushalten! – Sorte. Statt dem Krippenspiel zuzusehen, jammerten sie in den schrillsten Frequenzen, rutschten unruhig auf ihren Bänken, bohrten ihre Köpfe in meinen Schoß, bis ihre Haare aussahen wie bei Ronja Räubertochter. Die Klettverschlüsse an den Schuhen meines Sohnes rissen mir Laufmaschen in die Strumpfhose und mir brach der Schweiß aus, spülte gründlich wie ein grobkörniges Salzpeeling jede Feiertagsstimmung aus mir heraus.

 

Der Gottesdienst endete mit „Stille Nacht“, dem Lied, das mir wie kein anderes die Melancholie von den Wänden meines Herzens klopft, aber nicht mal das fühlte ich richtig, weil sich das theatralisch verhungernde Kind auf meinem Arm anschickte, kopfüber auf den Kirchenboden zu stürzen. Die rasante Talfahrt, angefangen bei der fehlenden Brennpaste über den misslungen Gottesdienstbesuch, nahm zu Hause noch Tempo auf. Weder das reich illuminierte Wohnzimmer, noch der Glanz des Baumes oder der holde Gesang des Stockholmer Weihnachtschores vermochten Besinnlichkeit zu vermitteln. Überhaupt der Baum. Was wir im Vorfeld sorgfältig als stattliche Nordmanntanne ausgesucht hatten, deren betörender Duft und sattes Grün der Nadeln uns hochgradig entzückt und über den überteuerten Preis hatte hinweg schielen lassen, bot einen mitleiderregenden Anblick. Wegen der neu installierten Lüftungsanlage beugten sich die Äste schlaff Richtung Boden und warfen uns vorwurfsvoll die trockenen Nadeln vor die Füße. Mehr Trauerweide als prachtvoller Weihnachtsbaum stand die Tanne sinnbildlich für das Scheitern meiner Ambitionen, ein prachtvolles Fest zu kreieren, das vor Perfektion heller funkelte als der Stern über Bethlehem. Dass auch das Fondue nicht das gesellige, Stunden währende Highlight meiner Kindheit wurde, sei nur noch der Vollständigkeit halber erwähnt. Für die noch immer qualvoll am Rand des Hungertodes wandelnden Kinder dauerte die Garzeit des Fleisches in der Brühe zu lange, das zur Überbrückung angebotene Weißbrot war den Milchzähnchen nicht soft genug und der eingelegte Spargel zu essigsauer. Fast muss man von Glück sprechen, dass das Essen nach nicht mal einer Dreiviertelstunde beendet war. Untröstlich über das weihnachtliche Desaster, entschuldigte ich mich bei meiner Mutter.

„Die zeigte sich milde und erinnerte mich daran, dass die Feste der Vergangenheit längst nicht so makellos gewesen waren, wie in meiner Erinnerung.“

„Hast du vergessen, dass du pünktlich jedes Jahr zu Heiligabend an eitriger Angina erkrankt bist und schlapp unter dem Weihnachtsbaum lagst? Weißt du nicht, wie oft es Streit gab, weil die Nerven blank lagen, alles rechtzeitig fertig zu bekommen? Und kannst du dich nicht mehr erinnern, als dein Vater sich beim Einmachen des Baumes die Daumenspitze abgesägt hatte und genäht werden musste? Hast du das Jahr verdrängt, als der Baum umgekippt war und alle Glaskugeln zerbrochen sind?“ Tatsächlich waren diese Missgeschicke in meiner posaunenchorigen Erinnerung längst vergessen, hatten sich den milchigen Schleier der Verklärung übergeworfen. Inmitten der Trümmer meiner Weihnachtsidylle lernte ich die wichtigste Weihnachtslektion, eine, die ich bis heute nicht vergessen habe: Es muss nicht perfekt sein, um perfekt zu sein. Die Anstrengung alles gemütlich, festlich und heimelig zu gestalten, muss immer noch genug Platz lassen, um Gemütlichkeit, das Festliche und Heimelige auch fühlen zu können. Man muss sich nicht an erdrückenden Traditionen anpassen, muss nicht ein perfekt dekoriertes Haus wie die Interior-Accounts bei Instagram haben. Man darf mutig sein und eigene Traditionen entwickeln, einfache, die in den Alltag passen und trotzdem das besondere Flair schaffen, das das Fest der Feste zu etwas Besonderem macht.

 

Es reicht völlig aus, sich die inspirierenden Accounts bei einer Tasse heißem Punsch auf dem Sofa nur der schönen Bilder wegen anzuschauen. Es ist okay, nur eine Sorte Plätzchen zu backen, dafür aber gemeinsam mit den Kindern – Teig naschen und Zuckerstreuselregen inklusive. Plätzchen, die man auch schon vor Heiligabend essen darf, bei einem süßen Nachmittagsstündchen, mit Kakao und einer Weihnachtsgeschichte. Und ja, auch ein künstlicher Baum ist okay, wenn er fair und nachhaltig produziert wird und so, statt einer vertrockneten Nordmanntannenleiche, der Lüftungsanlage trotzt und mit immergrünen Nadeln den Schmuck präsentiert. Es muss kein Fondue als Festmahl geben, Bandnudeln mit gebratenem Lachs und Weißweinsoße tun’s auch, die schmecken der ganzen Familie, es gibt kein Genörgel und Gemecker, sondern das, was an Weihnachten wirklich zählt: Beseelte, satte Kinder, einen zufriedenen Mann, der nicht an Brennpaste denken muss und eine entspannte Mutter, die sich nicht während der Vorbereitungen schon die Hacken blutig gelaufen ist.

„Man darf sich trauen, die engen Schnüre des Erwartungskorsetts zu sprengen, darf gelassen Bandnudeln in den Topf werfen und dabei tief einatmen, um den simplen Zauber von Weihnachten in seiner Fülle zu inhalieren.“


 

Autorin

Kathrin Waiz

 

Kathrin ist diejenige, die Worte für das Unaussprechliche findet. Und für das Blödsinnige, das intensiv Alberne und das erschreckend Traurige. Mehr über Kathrin Waiz…

2 Comments
  • Annett Theml

    16. Dezember 2020 at 10:34 Antworten

    Liebe Kathrin,

    dein Text hat mich gerade so in meine eigene Kindheit zurückversetzt und ich konnte die damalige Weihnachtsstimmung bis ins Detail noch einmal durchleben – Danke dafür und danke für’s Augen öffnen. Wir werden es heuer nach diesem Wahnsinnsjahr einfach mal ruhiger angehen lassen. Habt es fein und bleibt gesund.

    Herzlichst
    Annett

    • Kathrin Waiz

      16. Dezember 2020 at 11:07 Antworten

      Liebe Annett,

      es freut mich sehr, dass du in Gedanken mit mir zusammen zurück in die Weihnachtsstimmung unserer Kindheit gereist bist. Ich habe dich sehr gerne dabei begleitet.

      Eine schöne Weihnachtszeit wünsche ich euch, ruhig und heimelig und natürlich möglichst gesund.

      Alles Liebe,
      Kathrin

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