Klartext im Februar

Einsichten von Kathrin im Februar

Möge das Nein mit dir sein!

»Kinderzimmer aufräumen, Schlafanzüge anziehen, Zähnchen schrubben, Gute-Nacht-Geschichte vorlesen und in die Betten schlüpfen.« So klingt meine Standardantwort auf die allabendliche Frage des niemals müden Nachwuchses, wenn er sich nach dem Essen erkundigt, was denn jetzt noch auf dem Plan steht. Dabei kennen sie die Antwort. Sie variiert nur selten. Und ich kenne ihre Reaktion. Zuverlässig folgt auf diese zugegeben wenig glamouröse Ansage ein mauliges Duett, gefolgt von einer scharfen Tirade vehementer Neins. Nein zum Aufräumen, Umziehen und Zähneputzen. Manchmal sogar zur Gute Nacht-Geschichte, wenn sie sich zu sehr in ihre Neins verrennen. Sobald sie ihren Fauxpas bemerken, rudern sie freilich zurück, zumindest was das Vorlesen betrifft. Das Nein zu meinen Ansagen, die Ablehnung der abendlichen Routine bleibt. Erziehungsratgeber hatten mir einst versichert, Kinder fühlen sich in vertrauten Abläufen geborgen und Rituale führen abends souverän über den neuralgischen Punkt hinweg, wenn das Loslassen des Tages Schwierigkeiten bereitet. In der Realität aber formiert sich lediglich handfester Widerstand, den man mir energisch in Begleitung einiger Spielzeugautos vor die Füße knallt.

 

»Nein!«, schreit meine Tochter. »Nein!«, bekräftigt mein Sohn. »Oh doch!«, kontere ich – je nach Erschöpfungsgrad, geduldig oder genervt. Und beharre auf Routine, Ritualen, Regeln, auf mein Oh doch! im Kampf gegen ihr Nein. Nicht selten ist es zermürbend das doppelte Nein niederzuschlagen und aufgeräumte Zimmer, Pyjamas und gründlich geputzte Zähne durchzusetzen. Und unbefriedigend für alle Beteiligten.

 

Ich bin mir der Ironie durchaus bewusst, dass ich ihnen im Gegenzug unablässig einimpfe, wie wichtig ein Nein ist. So wichtig, dass es ihnen im Zweifelsfall das Leben retten kann. Zum Beispiel, wenn Fremde sie auffordern, in ihr Auto zu steigen, weil dort angeblich Schokolade bereitliegt oder ein Kätzchen auf den Sitzen schlummert, das nur darauf wartet, von Kinderhänden gestreichelt zu werden. »Ihr schreit Nein so laut ihr könnt, versprochen? Wehrt euch, weigert euch, brüllt: Ich will das nicht! Lasst euch nicht bequatschen und beharrt auf euer Nein! Versprochen?« Sie nicken stets artig, wenn ich derlei Verhaltensregeln proklamiere, weil sie wohl spüren, dass es um Wichtigeres geht als ordentliche Kinderzimmer. Aber in ihren großen Bambiaugen spiegelt sich Verwirrung.

„Wie schwer muss die Welt in all ihrer Widersprüchlichkeit für Kinder zu verstehen sein?“

Wir Eltern ermutigen sie zu Selbstbewusstsein und Standhaftigkeit, bestärken sie, sich in Kindergarten und Schule nicht kleinkriegen zu lassen, wenn Ärger droht oder sie zu Unfug angestiftet werden. Wir trichtern ihnen Neins zu ihrem Schutz ein – aber auch zu unserem, denn der Gedanke ist unerträglich, dem Kind könne etwas zustoßen, weil es zu schüchtern für ein Nein ist. Gleichzeitig aber ignorieren wir Tag für Tag die vielen Neins unserer Kinder, ihr Nein zum Zähneputzen, zum Zimmeraufräumen, zum Ins-Bett-Gehen. Auch zu ihrem Schutz, wie wir vorgeben. Damit sie Ordnung lernen, ihre kleinen Körper sich im Schlaf von den Reizen und Anstrengungen des Tages erholen können. Und ehrlicherweise auch wieder zu unserem eigenen Schutz, denn der anklagende Blick der Zahnärztin bei der Karies-Diagnose ist unangenehm. Die Rechnung für Zahnersatz später auch. Wir zerschlagen also die vielen kleinen Neins unserer Kinder um ihrer- aber auch unseretwillen und stürzen sie damit in ein undurchschaubares Dickicht Erwachsenendekrete, in dem manche Neins achtens- und schützenswert sind, andere scheinbar nicht.

„Aber Hand aufs Herz …“

… auch wenn man den Kinderschuhen längst entwachsen ist und selbst Verantwortung für die Ordnung der eigenen vier Wände, das Schlafpensum sowie die Zahnhygiene trägt, hadert man mit der unheimlichen Macht eines Neins. Diese harmlosen vier Buchstaben, die so unschuldig daherkommen, tragen mehr Konfliktpotential in sich als manche offizielle Kriegserklärung.

 

Es präsentiert sich in unterschiedlichen Kostümen, manchmal poltert es laut, manchmal kriecht es leise und zögerlich wie eine scheue Schlange. Die gefährlichsten Neins aber sind die, die verschluckt werden und es nicht über die Lippen derer schaffen, die Nein meinen, stattdessen aber Ja sagen. Um des lieben Friedens willen. Da wird ein Ja als beschwichtigende Geste geschwenkt wie eine weiße Friedensfahne oder als klappernder Deckel über den brodelnden Topf gestülpt, aus Sorge, das brodelnde Süppchen darin könne überkochen, wenn man es mit einem zu scharfen Nein würzt. In wie vielen Situationen sehnen wir uns aber verzweifelt nach einem rettenden Nein?

Wenn sich die Energie-Vampir-Bekannte auf einen Kaffee ankündigt, obwohl man sich lieber ausruhen will. Wenn die Kindergartenmutter, um einen Kuchen für das Kindergartenfest bittet, obwohl zum Backen die Zeit fehlt. Wenn ein neuer Auftrag hereinschneit, obwohl die alten Aufträge sich dicht bis unter die Decke drängen. Wenn die Kinder um Fernsehzeit betteln, obwohl man weiß, dass sie danach wieder furchtbar aufgedreht sein werden. Ein Nein kostet so viel mehr Kraft und Mut als ein Ja, weil es nicht selten mit einer persönlichen Beleidigung, einem Affront, einer Kriegserklärung gleichgesetzt wird. Es kann zuschlagen wie eine deftige Backpfeife, und niemand will der Bekannten, dem Kunden, der netten Kindergartenmutter eine Backpfeife verpassen. Aber ein Nein ist wichtig. Um sich abzugrenzen, zu schützen, zu behaupten. Es kann uns retten, wenn Zeit Mangelware ist. Uns helfen, im Rhythmus zu bleiben, ohne dass andere uns aus dem Takt bringen. Aufdringliche Menschen vom Hals halten, die uns, in welcher Art auch immer, bedrängen.

 

Es sind im Übrigen nicht nur Frauen, denen Altruismus scheinbar in den genetischen Code gemeißelt ist, die sich mit Nein schwertun. Ich habe gestandene Männer mit diesem Wort ringen sehen, aus Sorge jemanden zu kränken. Wie Lanzen wurden Neins hinter dem Rücken versteckt, um niemanden zu drohen oder gar zu verletzen, und stattdessen ein versöhnliches Ja als Friedenszeichen dargeboten. Während Erwachsene oftmals eine ungesunde Beziehung zu überzeugenden Neins pflegen, beherrschen Kinder diese Kunst durchaus (noch). Klar formulierte Ablehnung, gerne mit typisch kindlichem Gemüt vorgetragen, nicht selten trotzig und akustisch von aufstampfenden Füßen untermalt. In ihrem eigenen Takt, ihrem eigenen Rhythmus. Anstatt diese Gabe unangetastet zu lassen, untergraben wir ihr intuitives Verneinen, verwirren sie mit schwer nachvollziehbarem Reglement, welches Nein adäquat ist und welches doch bitteschön, ganz nach unserem Vorbild, hinuntergeschluckt werden soll.

„Unser Verhältnis zum eigenen Nein muss dringend überarbeitet werden.“

Gerade in anspruchsvollen Zeiten wie diesen, die Kindern, Eltern, Familien, Freunden und Kollegen alles abverlangen, braucht es einen revolutionierten Umgang mit unserem Nein. Ein Nein muss respektiert werden. Auch und besonders wenn es aus einem kleinen Kindermund kommt. Das fordert ohne Frage diplomatisches Geschick und Kompromissbereitschaft. Die richtig anspruchsvollen Elternskills eben. Ein Nein ist nicht automatisch ein Nein zu mir als Person. Jemand hat heute keine Zeit für einen Videocall? Das bedeutet nicht, dass mich derjenige nicht mag, sondern vielleicht das Kind krank ist und die volle Aufmerksamkeit braucht. Oder dass er oder sie schlicht keine Lust hat. Was absolut okay ist. Ein Nein stärkt mich. Ich darf hinhorchen, wenn mein Körper, meine Seele nach einem Nein betteln. Mir als Mutter fällt ein Nein besonders dann schwer, wenn es mir eine kurze Auszeit von Paw-Patrol-Puzzels oder Holzeisenbahnfahrten verschaffen soll. Weil man die Kleinen nicht abweisen will. Weil man doch damals Ja zu Kindern gesagt hat – immer und ausnahmslos. Es ist ein Prozess, sich diese Art von Nein zu gestatten. Ein gütiges Nein, das meine Kinder wissen lässt, dem Nein zum drölfzigsten Pixie Buch folgt zwar eine Pause, aber diese Mama-Auszeit ist zeitlich begrenzt und dient der Regeneration, dem Durchatmen und Kraftschöpfen. Eine Auszeit, um auf den eigenen Takt zu horchen, der so oft im Alltagstrubel übertönt wird. Bis man sich eben wieder eingegroovt hat, in einer lässigen Melodie schwingt und die Kinder sich einfügen in das gemeinsame Lied. Ein Lied mit Ja im Refrain – zu einer Partie Memory, zum Keksebacken oder der Verwandlung des Kinderbetts in ein Piratenschiff.

 

Die intensive Familienzeit der letzten Monate war ein gutes Übungsfeld, um unsere Neins zu trainieren. Sie auszusprechen, zu respektieren und ihnen einen Platz in unserer Gemeinschaft zuzugestehen. Denn auch wenn Familie das uneingeschränkte Ja zueinander bedeutet, darf Platz für Nein sein. Weil es jeden einzelnen von uns stärkt, formt und Souveränität verleiht. Weil es unseren Groove am Schwingen hält. Weil es unserem Schutz dient. Fast so wie Zähneputzen.

„Möge das Nein mit dir sein!“


 

Autorin

Kathrin Waiz

 

Kathrin ist diejenige, die Worte für das Unaussprechliche findet. Und für das Blödsinnige, das intensiv Alberne und das erschreckend Traurige. Mehr über Kathrin Waiz…

No Comments

Post a Comment