Klartext im Juli

Einsichten von Kathrin im Juli

Der Bumerang der Verantwortung

Den sozialen Medien habe ich viel zu verdanken: Makramee, Bananenbrotrezepte und das Comeback von Hula Hoop. Social Media ereifert sich täglich, den eigenen Horizont zu erweitern. Mit Hashtags geschmückte Trends haben mein Leben schon so manches Mal unerwartet bereichert. Ebenso das meiner Mitmenschen, die sich letztes Weihnachten alle über pastellfarbene Dip-Dye-Kerzen freuen durften. Manchmal vermag mich ein steil viral gehendes Phänomen innerlich regelrecht zu packen, einmal durchzuschütteln und mit neu verwirbelten Gedanken zurück auf die Füße zu stellen.

 

#mentalload zum Beispiel.

 

Als ich zum ersten Mal in einem leidenschaftlichen Instagram-Post auf die griffige Bezeichnung jener mentalen Belastung stieß, die neben allen praktischen, mit dem Familienmanagement einhergehenden Aufgaben auch die unsichtbare Verantwortung beschreibt, die es zu verwalten gilt, gab es einen regelrechten Aha-Moment.

Ich fühlte mich verstanden.

Plötzlich nannte jemand das Kind beim Namen, wie es sich anfühlt, die gesamte Verantwortung dafür zu tragen, den Familienmotor am Laufen zu halten. Welche Mühe es kostet, dass er nicht ins Stottern gerät und immer genug Öl im Getriebe ist, damit alles flutscht. All die unzähligen kleinen und großen Dinge. Der Elternfragebogen für den Kindergarten, der ausgefüllt und abgegeben werden will. Hildchens Vorsorgetermin beim Augenarzt. Die neuen Gummistiefel für Oski und die fünf Euro für das Abschiedsgeschenk der Erzieherin. Die Erinnerung des Gatten an den Hochzeitstag seiner Eltern, damit er mit einem Gratulationsanruf brillieren kann. Trost und Motivation für Hildchen, nach der versemmelten Lernzielkontrolle nicht die mathematische Flinte ins Korn zu werfen. Die Essensplanung, damit immer genug Brot für die Pausenboxen der Kinder da ist und abends eine warme Mahlzeit auf dem Tisch steht. Oder, wenn alle Stricke reißen, zumindest ein Bananenbrot.

„Obwohl mein Mann und ich beide von zuhause arbeiten, liegen Pflege und Wartung des Familienmotors gänzlich in meiner Hand. Und der Motor surrt unermüdlich, schuftet und plant, organisiert und koordiniert, Tag und ja, manchmal auch in der Nacht.“

Wenn ich meinen Mann dann doch ausnahmsweise bitte, am nächsten Tag unseren Sohn vom Kindergeburtstag abzuholen, gibt er sich gern großzügig.

»Kann ich schon einrichten«, sagt er dann und kratzt sich die vor väterlichem Engagement abrupt angeschwollene Brust. »Um fünf«, füge ich hastig hinzu, wohlwissend, dass er die Uhrzeit sowieso wieder vergessen wird. Hatten wir ja alles schon.

 

Er (verpeilt): »Schatz, wann muss ich Oski nochmal einsammeln?« Ich (angestrengt mild): »Um fünf.« Auch ich, um zehn vor fünf (misstrauisch): »Du denkst noch dran, unseren Sohn abzuholen, oder?« Er (ertappt): »Klar, bin schon auf dem Weg.« Pause. »Bei welchem seiner Freunde ist er eigentlich?«

 

Wenn er dann mit allen nötigen Informationen (Adresse, Zufahrtsbeschreibung, Parkmöglichkeit) ausgestattet ist, und seine Brust wieder so verdächtig stolz anschwillt, weil er nun ins Feld zieht, um als fürsorglicher Papa seinen Sprössling nach Hause zu holen, juckt es mich sehr, ihm zu erläutern, was im Vorfeld zu diesem Geburtstag alles gelaufen ist, ohne, dass ich mich dabei selbst gehuldigt habe, ja, ohne, dass überhaupt jemand davon Kenntnis genommen hat.

 

Das Telefonat mit der Mutter, um mich für die Einladung zu bedanken und nach Geburtstagswünschen zu fragen. Das Erstellen einer WhatsApp-Gruppe mit den Müttern der anderen eingeladenen Kinder, der langwierige Prozess, sich auf eines der gewünschten Ninjago-Sets zu einigen und zu klären, wer die Bestellung übernimmt. (Spoiler: ich.) Und schließlich der Transfer unseres Söhnchens samt Geschenk und Luftballon zur Partylocation.

„Aber ich verkneife mir jedes Wort, der Mann muss los, es ist fast fünf. Nicht dass Oski noch denkt, wir hätten ihn vergessen.“

Er wird natürlich nie erfahren, dass dieses Risiko bei seinem Vater nicht ganz auszuschließen ist. Es ist auch eher ein theoretisches Risiko, denn es gibt ja mich, die Frau, die den Motor am Laufen hält und alle Schäfchen im Auge behält. Zuverlässig und ausdauernd. Niemand interessiert sich dafür, was hinter der Fassade passiert, was sich auf den Schläuchen und Zylindern des Verantwortungsmotors ablagert. Niemand bemerkt die dicke Schicht mental load, die Leitungen mit Plaques verstopft wie lebenswichtige Arterien. Auch wenn der Druck, der auf uns Frauen lastet, nicht in bar gemessen werden kann, ist er doch da. Wir spüren ihn. Jeden Tag. Die Debatte um mental load anzustoßen ist ein guter Anfang, um ein Bewusstsein für die Sache mit dem Motor und den Ablagerungen zu schaffen.

 

Als ich mit meinem Mann zum ersten Mal über mental load gesprochen habe, zeigte er sich verständnisvoll, war aber nicht bereit, sich seine täglichen Leistungen von feministischen Postulaten kleinreden zu lassen. Muss er auch nicht. Tatsächlich übernimmt er deutlich mehr Aufgaben im Haushalt und bei den Kindern als seinerzeit mein Vater. Der weiß bis heute nicht, in welches Fach das Waschpulver gehört und wo man die Maschine überhaupt anstellt. Wie selbstverständlich hat sich meine Mutter um Haushalt, Hausaufgaben und Geschenke für Kindergeburtstage gekümmert. Beklagt hat sie sich nie. Vielleicht weil es damals noch keine sozialen Medien gab und sie nie von mental load gehört hat.

 

Und obwohl ich davon gehört habe, mit flammendem Interesse die Artikel und Berichte lese, in denen die Überwindung der ungleichen Verteilung unbezahlter Sorgearbeit gefordert wird, gelingt es mir nicht, die eingefahrenen Strukturen aufzubrechen. Meist bin ich unfähig zu delegieren. Oder schlicht unwillig.

 

Denn so gerne ich meinen Teil der Verantwortung an meinen Mann abtreten würde, klammere ich zugleich daran fest wie eine Fledermaus an der Höhlendecke. Aus Sorge abzustürzen und mir das Genick zu brechen. Weiß ich doch genau, ohne meinen unermüdlich arbeitenden Fledermauskopf funktioniert unser Familienmotor nicht. Schon die Vorstellung, meinen Mann alleine zu einem Elternabend zu schicken, lässt mich panisch fiepen. Zu groß ist die Gefahr, dass er zwar artig alle Informationen aufsaugt, mit denen man ihn überschwemmt, aber, gemäß seinem stillen Gemüt, eben keine mehr ausspuckt.

„Manchmal verdächtige ich ihn, sich unfähiger zu präsentieren, als er in Wirklichkeit ist.“

Vermute in seiner vermeintlichen Entscheidungsunlust eine gewiefte Masche. Schicke ich ihn beispielsweise mit detailgenauem Einkaufszettel in den Supermarkt, halte ich automatisch das Handy bereit. Denn der Mann wird Fragen haben. Viele Fragen. Bald schon erreicht mich ein Bild aus dem Einkaufswagen, gefolgt von der Frage, welche der beiden Reispäckchen er nehmen soll. Ob ich eher große oder kleine Kartoffeln bevorzuge. Und welche Farbe die Spültücher haben sollen. Wie ein Bumerang kommen eigentlich abgegebene Aufgaben wieder zu mir zurück. Manchmal gelingt es mir, ihn zu ermuntern, selbst Entscheidungen zu treffen. Auch wenn das bedeutet, dass seine Entscheidungen möglicherweise misslingen und er den falschen WC-Reiniger mitbringt.

 

Ich (angestrengt diplomatisch): »Wieso hast du denn diese Marke gekauft?«

Er (klappt begeistert den Deckel der Flasche auf und lässt mich schnuppern): »Der riecht nach Grapefruit!«

Ich (naturbewusst): »Der ist total schlecht für die Umwelt!«

Er (resigniert): »Dir kann man auch echt nie was recht machen.«

Ich (pikiert): »Doch! Wenn du einfach den ökologisch abbaubaren WC-Reiniger kaufst, den wir sonst immer haben!«

Er (überrascht): »Wir haben immer ökologisch abbaubaren WC-Reiniger?« 

Ich (säuerlich): »Sorry, mein Fehler. Woher sollst du das denn wissen? Du putzt ja nie das Klo.«

 

Es gibt noch viel zu tun, mental load gerecht  aufzuteilen. Da wird’s Geduld brauchen und jede Menge Verständnis. Und man muss lernen, Verantwortung abzugeben und Aufgaben zu delegieren. Lernen, Fehler hinzunehmen und Umwege zu gehen.

Er (entrüstet): »Weil ich immer unsere Kinder von Geburtstagen abholen muss!«

„Und manchmal muss man sich eben auch mal auf neue WC-Reiniger einlassen. Mit Grapefruitduft.“


 

Autorin

Kathrin Waiz

 

Kathrin ist diejenige, die Worte für das Unaussprechliche findet. Und für das Blödsinnige, das intensiv Alberne und das erschreckend Traurige. Mehr über Kathrin Waiz…

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