Lob der Unvernunft

Gute Menschen kommen auch in Pandemiezeiten in den kulinarischen Geilomat-3000-Missperfect-Himmel. Menschen, die gelernt haben, gut zu sich selbst zu sein, lassen die Feuerstelle ruhigen Gewissens kalt und Döner-Deniz den Vortritt.

Expertentum ist in Zeiten wie diesen ja gefragt wie nie. Fragt man die Fressexperten da draußen, ernährt sich der moderne Pandemie-Menschen gesünder als zuvor. Er isst mehr Gemüse und weniger Fleisch, und er kocht wieder. Ob unter das abgefragte „selbst kochen“ auch das kochen von Tiefkühlpizza, Donuts und Schokoshakes mit Marshmallows und extra Sahne fällt, wird in all den Expertenberichten leider nicht deutlich, deutlich hingegen wird, dass sehr viele von uns nach 6 Monaten Lockdown ein paar Kilos mehr auf den Rippen haben und –  da macht mir keine herbeigeschwurbelte Studie dieser Welt was vor – die McDonald’s-Tüten still und heimlich öfter zum Müll getragen werden, als zuvor. Ist das auch gesünder? Wage ich nicht zu beurteilen. Sind Mäci-Burger am Teller und das Zwicken am Hosenbund trotzdem eine Befreiung? Ich finde: Ja.

 

In Prae-Pandemie-Zeiten, vielleicht sogar noch in den ersten Lockdown-Wochen, hatten wir eindeutig mehr Zeit, Nerven und Spaß daran, zwischen gutem und schlechtem Essen zu trennen. Chiasamen gut, Weißbrot böse. Sauerteigbrot selber backen genial, Dreikorn-Aktions-Weckerl aus dem Aufbackautomaten bei Spar ums Eck kaufen böse. Wir haben Grünkohl-Säfte mit lustigen Namen gekauft, bis zur obersten Geruchsbelästigungsgrenze Linsen-Dahl gekocht und intervallgefastet. Wir haben die allgegenwärtigen Gesundheits- und aufgeklärten Genussgebote erfüllt, Brokkoli von glücklich Bauern aus Siegridspatschen mit Liebe und Hingebung für uns und die süßen Kleinen gedünstet, und jeden leisen Gedanken an ein begleitendes Stück vom Grammelknödel, an ein milchpulverisierte Dany plus Sahne oder eine Tafel palmölverseuchte Milka Karamell zum Nachtisch sofort niedergeknüppelt.

„Es ist ein Widerspruch, mit dem wir ständig zu tun haben, wenn‘s ums Essen geht, sinnbildlich für den modernen Ernährungsalltag, in dem die Nahrungsaufnahme gern dogmatisiert und moralisch überhöht wird, und in dem es nicht nur um das „Was“, sondern auch um das „Wie“ geht.“

Ich möchte nicht in Abrede stellen, dass täglich selbst zu kochen und gesunde Mahlzeiten bei anregenden Tischgesprächen gemeinsam mit der Familie einzunehmen eine grandiose Sache ist, die es zu forcieren gilt. Mindestens so wünschenswert wäre es aber, sich ebenso inbrünstig zum einsamen Fast-Food-Abendessen auf der Couch mit Notebook am Schoß, zum dritten Tag in Folge zu Würstel mit Pommes für den Nachwuchs oder zu fetttriefenden, gekauften statt selbstgebackenen, zuckerreduzierten Muffins zu bekennen. Dafür braucht es natürlich auch ein wenig Mut, denn wer brüstet sich im Freundeskreis oder auf Social Media schon gern mit TK-Pizza oder Fertigbolognese. Aber Hand aufs Herz: Nach monatelangem Verharren und Ausharren in den eigenen vier Wänden, nach Wochen, in denen man sich, umgeben von deprimierten, gestressten Freunden, Partnern und Kindern mit letzter Kraft gegen seinen ganz persönlichen, psychischen Fallout stemmt, ist die Zurschaustellung von Disziplin und der Erfüllung aller Gesundheitspflichten maximal noch eine zusätzliche Geißel. Sich in einem Zustand der psychischen Maximalerschöpfung weiterhin mit militärischem Eifer darauf zu konzentrieren, sich mittels Ernährungshabitus von denen abzugrenzen, denen wir eher unreflektierten Genuss zuschreiben, ist Gift für die Seele. 

„Wofür es sich zu leben lohnt, das sind die Genüsse, in denen auch das Unvernünftige zur Quelle von Zufriedenheit wird, in der auf sich Acht geben auch bedeuten darf, das „Richtige“ außer Acht zu lassen.“

Und dabei auch das Wort „eigentlich“ erst mal in der Wortschatzkiste zu versenken. „Eigentlich koche und esse ich ja ganz anders, aber …“. Zwischen dem Eigentlich und dem Aber macht sich nämlich das schlechte Gewissen breit, und sich von dem reinwaschen zu wollen, macht vielleicht findige Lebensmittelunternehmen und Marketer post-pandemisch reich, das eigene Leben bereichert es auf Dauer aber nicht.

 

Also ran an die fetten Buletten, Ladies and Gentleman, Kinder und Omas, Füße hoch, dem Lustprinzip folgen und die Jogginghose eine Nummer größer mit einem zufriedenen Lächeln im Gesicht tragen.


 

Stephanie Fuchs

Autorin

Stephanie Fuchs-Mayr

 

Stephie schreibt für uns die monatliche Gesellschaftskolumne und erzählt uns Geschichten, die in die Tiefe gehen. Und uns so zum Nachdenken anregen. Mehr über Stephie …

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