Klartext im September

Einsichten von Kathrin im September

Nichts so richtig und von allem ein bisschen

Würde mich jemand fragen, wo meine Talente liegen und was ich gut kann, wäre meine Reaktion: »Puh.« (Schweigen. Angestrengtes Nachdenken. Grillenzirpen im Hintergrund.) »Eigentlich kann ich nichts so richtig.«

 

Das ist kein künstliches Understatement oder gar Fishing for Compliments, sondern schlicht eine nüchterne Einschätzung meiner Fähigkeiten. Nehmen wir mein musikalisches Talent. Ich beherrsche sicher die Grundzüge auf der Blockflöte und eine Handvoll Akkorde auf der Gitarre. Letzteres reicht gerade so für eine schmissige Darbietung von Let it be am Lagerfeuer. Meine Singstimme ist weder besonders klangvoll, noch sitzen die Noten einwandfrei (Kopfstimme ist besonders kritisch), aber in der Regel ist erkennbar, welches Lied ich singe. Lagerfeuertauglich eben. Allerdings muss ich fairerweise zugeben, dass ich eher selten um einer Performance gebeten werde. Mal die musikalische Begleitung einer Taufe, mal die Darbietung eines Coversongs zu einem runden Geburtstag. Lediglich mein Sohn besteht abends konsequent auf sein Lieblingslied zum Einschlafen: Segne du, Maria. Aber der zählt nicht und ist mit seinen fünf Jahren noch so mamaverliebt, dass er auch an meinen Achseln schnüffelt, wenn ich Sport gemacht habe, und verträumt in den Schweißfilm haucht: »Du riechst so gut, Mami.«

„Alles so lala.“

Musikalisch also eher im unteren Durchschnitt, setzt sich das Muster der Mittelmäßigkeit auch im sportlichen Bereich durch. Trotz zahlreicher aktiver Jahre im Basketballverein, war ich von den Trainern eher für meinen Fleiß als mein Talent geschätzt worden. Ich kann einen Ball werfen und ihn fangen, ohne das Menschen oder Glasscheiben zu Schaden kommen. Das gilt auch für Ballaktivitäten mit dem Fuß. Im Schwimmbecken komme ich zügig vorwärts, ohne dabei sonderlich elegant auszusehen. Bei Laufwettkämpfen bin ich zumindest bis dato noch nie als Letzte ins Ziel gekommen, was immerhin als Achtungserfolg verbucht werden kann.

 

Meine Durchschnittlichkeit lässt sich auf alle anderen Bereiche übertragen: handwerkliches Geschick beim Nähen, Häkeln, Bauen, Kochkünste, Pflanzenkunde. Es gibt kein Gebiet, auf dem ich als Experte gelte, über vieles weiß ein bisschen Bescheid, aber über nichts so wirklich detailliert. Auch in Sachen Kindererziehung würde ich meine Leistung bislang als durchschnittlich bezeichnen und meinen Stil als konsequent inkonsequent beschreiben. 

„Ich selbst würde mich nicht um Rat fragen.“

Andere aber tun das. Immer wieder. Sie stören sich nicht an meiner Durchschnittlichkeit. Oder bemerken sie nicht. So genügt meiner Mutter meine zweijährige Ausbildung als Masseurin und medizinische Bademeisterin, um mich grundsätzlich bei jedem Wehwehchen um eine Diagnose zu bitten.

»Du, Kaddl, mein Knie ist so geschwollen, kannst du mal schauen?«

 

Ja klar, kann die Kaddl schauen, damit richtet sie keinen Schaden an. Trotzdem verweist sie die humpelnde Mutter nach einer kurzen, zumindest scheinbar professionell wirkenden Inspektion des Kniegelenks (»Könnte eine Bakerzyste sein.«), verantwortungsbewusst an jemanden weiter, der von Berufswegen mehr Ahnung hat. Nicht ohne Grund absolvieren Ärztinnen und Ärzte ja ein nicht gerade kurzes Studium.

 

Auch bei Text-Angelegenheiten werde ich gerne um Rat gefragt, obwohl ich zum Beispiel die Sache mit der Rechtschreibung eher leger auslege. Kommata zum Beispiel setze ich gerne dort, wo sie hübsch aussehen oder ich lasse sie aus ästhetischen Gründen einfach weg. Den Unterschied zwischen das Gleiche und dasselbe muss ich immer wieder neu im Duden nachschlagen und dass es allein und nicht umgangssprachlich alleine heißt, werde ich mir in diesem Leben vermutlich nicht mehr merken können. Nichtsdestotrotz hegt mein Umfeld größtes Vertrauen in meine vermeintlichen Fähigkeiten, die deutsche Sprache und Rechtschreibung einigermaßen im Griff zu haben.

„Schließlich verdiene ich meine Brötchen damit.“

Klartext im September

In schöner Regelmäßigkeit bekomme ich also von Familie, Freunden, Bekannten und der Frau aus dem Eckhaus am Ende der Straße Jahresberichte, Anweisungen für Prozessketten, Entwürfe für Einladungskarten und anderen Schriftkram vorgelegt.

»Du, Kaddl, kannst du da mal schnell drüber schauen?«

Ja klar, kann die Kaddl drüber schauen, auch damit richtet sie keinen Schaden an. Ihre eigenen Manuskripte wandern zwar erstmal ins Korrektorat, um zumindest die gröbsten Schnitzer zu beheben, aber sie hilft gerne, wo sie kann.

 

Tatsächlich fallen mir bei der Durchsicht fremder Texten mehr Fehler auf als in meinen eigenen. Betriebsblindheit und so. Eine Einladung für die Goldene Kommunion zu verfassen oder dem Flyer für den Malwettbewerb des Kindergartens ein bisschen sprachlichen Pep zu verleihen, macht sogar richtig Spaß. Trotzdem hoffe ich jedes Mal, dass mir kein Tippfehler durchrutscht und kein Komma an der falschen Stelle landet. 

„Denn auch wenn man etwas nicht perfekt kann, will man doch immer so gut abliefern wie nur möglich.“

Wenn man um Rat gefragt oder um Hilfe gebeten wird, ist der eigene Anspruch nun mal der, möglichst kluge Sachen zu sagen und möglichst tatkräftig zu unterstützen. Aus einem Dilemma helfen, das Tauflied nett vortragen, die Einladung hübsch formulieren. Schließlich will man niemanden enttäuschen, weder die Person, die um Rat oder Hilfe gebeten hat, noch sich selbst. Trotzdem muss man nicht perfekt sein, um einen Ratschlag erteilen oder helfen zu können.

 

Nehmen wir mal meine Kinder. Eine Zeitlang hatte mein Sohn wirklich schlimme Wutausbrüche. Mittlerweile kann ich damit ganz gut umgehen, aber ab und an reißt es ihn doch noch in einem wilden Strom hitziger Gefühle davon. In der Akutphase fühlte ich mich damit oft überfordert. Kürzlich fragte mich meine Freundin, deren Sohn gerade eine ähnliche Entwicklung durchmacht, was sie denn tun solle, sie fühle sich so hilflos.

 

»Und da fragst du ausgerechnet mich?«, lag mir reflexartig auf der Zunge, schließlich erlebe ich ähnliche Szenen mit unserem kleinen Wutzwerg durchaus noch.

Aber ja, verdammt. Meine Freundin fragte ausgerechnet mich. Nicht, um ein Patentrezept zu bekommen, eine todsichere Strategie, mit der sie ihren Knirps innerhalb von vierundzwanzig Stunden von den Wutausbrüchen kurieren würde wie von einem kleinen Schnupfen. Sie wollte einfach nur ein paar Impulse, für die ich weder einen Abschluss in Psychologie noch ein Pädagogikstudium mit summa cum laude absolviert haben musste. 

 

Meist sind die Ansprüche der anderen nämlich gar nicht so hoch wie die eigenen. Auch solide Mittelmäßigkeit kann ein guter Tutor sein. Und sind wir ehrlich: Wenn die anderen nicht vollstes Vertrauen in unsere Fähigkeiten hätten, würden sie nicht um Rat bitten. Mein Rat an uns alle wäre, es ihnen gleich zu tun. Glauben wir einfach an uns.

 

Meine Mutter war übrigens mittlerweile beim Arzt. Er diagnostizierte eine Bakerzyste. »Mensch, Kaddl«, sagte sie beeindruckt. »Dich kann man halt fragen.« Ja klar, dachte sich die Kaddl selbstbewusst. Klar kann man das.


 

Autorin

Kathrin Waiz

 

Kathrin ist diejenige, die Worte für das Unaussprechliche findet. Und für das Blödsinnige, das intensiv Alberne und das erschreckend Traurige. Mehr über Kathrin Waiz…


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