The Big E
Guten Job behalten, Steuer rechtzeitig machen, Eigentumsbehausung anschaffen, Klopapier auf Vorrat kaufen: Wer richtig erwachsen sein will, der arbeitet eine To-do-Liste ab. Da hab ich, ganz unerwachsen, was dagegen.
Beim letzten innerfamiliären Stammtisch in der Südsteiermark betonte mein seiner Meinung nach sehr erwachsener Vater, meine Pläne zur gänzlichen Umstrukturierung meines beruflichen Daseins würden an verantwortungslosen Wahnwitz grenzen. Welcher erwachsene Mensch sei denn bitte – in Zeiten wie diesen! – so verrückt, sich mit 40 Jahren und einer „so guten Ausbildung, die wir dir finanziert haben, und von der du heute so gut leben kannst!“ ernsthaft zu überlegen, zukünftig auf einem Bauernhof Ziegen zu melken oder, fast noch schlimmer, auf Kindergartenkinder aufzupassen. Grundkindisch sei das, naiv und verblendet. Erwachsensein sieht, wenn es nach meinem Vater geht, ganz anders aus. Ziemlich genau so, wie meine letzten 20 Jahre. Safety first! Mit zunehmendem Erwachsensein scheint mir das ein wenig zu einfach, denn Erwachsenwerden ist so ziemlich die größte Sache, die sich jemand jemals ausgedacht hat, und diese Sache hat keinen Start- und keine Endpunkt, sie kennt keine Zahlen, Geburtsdaten und amtliche Dokumente.
„Aber in der Welt, wie wir sie kennen, wird ums Erwachsenwerden und Erwachsensein natürlich ungeachtet meiner Auffassung viel Wirbel gemacht.“
Immer noch, und über Generationen von Menschen und Gesellschaften hinweg. Wenn das eigene Kind anfängt, Schuhgröße 36 zu tragen oder angerotzte Stoff-Fetzerl aus Babytagen peinlich zu finden, führt das zu langem, innerfamiliärem Geplänkel darüber, dass das Kind ja nun „erwachsen“ wird. Es wird noch erwachsener, wenn es Bartflaum entwickelt und BHs shoppen gehen möchte. Eine Zeit, in der übrigens die elterlichen Ermahnungen, man steuere ja nun ganz unmissverständlich aufs Erwachsenwerden zu und habe sich gleichzeitig mit dem ersten Büstenhalter bitte auch ein ausgeprägtes Moral- und Verantwortungsverständnis zuzulegen, überproportional zunehmen. Wenn das Kind dann mit 18 das erste Auto zu Schrott fährt, ist es zwar gesetzlich schon erwachsen, weil es ja einen Führerschein und zumeist ein Reifeprüfungszeugnis besitzt, gemäß seinen Eltern aber einfach nur „kindisch“ aka seelisch und geistig nicht reif. Dass mehr Menschen, die seit Jahrzehnten in Besitz eines Führerscheins sind, ihre Autos zu Schrott fahren – zumeist unter Alkoholeinfluss, übrigens –, als jugendliche Haudraufs, sei an dieser Stelle der Ordnung halber erwähnt.
„Es ist also alles andere als klar, was dieses Konzept des Erwachsenseins jetzt überhaupt konkret beinhaltet.“
Zeigt sich Reife in der Anpassung an soziale und gesellschaftliche Normen, oder im Widerstand dagegen? Ist Greta Thunberg, die Schulstreikerin für eine bessere Welt, am Ende nicht womöglich erwachsener weil mutiger und konsequenter in ihrer Forderung als Eltern und Lehrer, die kleingeistig und passiv auf der Einhaltung der Schulpflicht beharren? Sind es am Ende die Erwachsenen, die mit ihrem eigenen Erwachsensein nicht zurechtkommen, und deshalb das Kindliche so gerne romantisieren und kleinreden und abkanzeln?
Es scheint fast so, als wäre die „kindliche (Un-)Vernunft“ ein menschlicher Grundzug, den wir uns zu Gunsten eines zufriedenen, glücklichen Erwachsenendaseins abtrainieren. Das ist schade, denn möglicherweise bedeutet ein glückendes Erwachsenwerden, sich zwischen gesellschaftlichen Anpassungsforderungen und dem individuellem Streben nach Freiheit und Unabhängigkeit zu behaupten. Mal der einen und mal der anderen Seite den Vorzug geben, mal die eigenen Interessen, mal die der anderen berücksichtigen.
Das ist für sich genommen ganz klar eine Lebensaufgabe, weil ob dieses Balanceakts nicht den Verstand zu verlieren oder in der depressiven Starre zu verharren, ist eine Kunst. Aber keine Unmöglichkeit. Denn wenn man sich damit abfindet, dass es im Laufe des Lebens keine wirklich relevante Verantwortlichkeit gibt als die eigene – nein, auch keine gesellschaftliche, und schon gar keine wirklich wohlwollende gesellschaftliche – dann ist das Steuern durch das Dickicht an Herausforderungen, Zumutungen und Reizen keine Lebensaufgabe, sondern eine Lebensreise. Und die ist aufregend, so oder so.
„Erwachsenwerden, so wie ich es langsam anfange zu betrachten, heißt auch, die Einsamkeit der eigenen Entscheidungen zu akzeptieren.“
Schluss machen mit beruflichen und privaten Systemen, in denen man gelernt hat, zu funktionieren, ohne sich in Rechtfertigungen zu ergehen. Etwas anstoßen, von dem man nicht weiß, wo es einen hinführen wird. Die Angst hinter sich lassen, etwas auch einmal zu bereuen. Die von den eigenen Eltern in Jugendjahren achtlos hingeworfenen Drohungen – “wenn du erst Mal erwachsen bist, geht mich das Gottseidank nichts mehr an” oder „du wirst das später auch endlich einsehen“ – als Liebesbekundung zu verstehen, die man annehmen darf, aber nicht muss.
Ich weiß nicht, ob es erwachsen ist, daran festzuhalten, dass ich in fünf Jahren nicht mehr jeden Tag 8 bis 10 Stunden vor dem Computer sitzen möchte. Dass ich gerne mit meinen eigenen Händen etwas schaffen und herstellen möchte, das Menschen glücklich macht. Oder kleine Menschen begleite, die mein Leben auf ganz andere Art und Weise reicher machen werden. Ich weiß aber, dass ich jeden Tag ein Stückchen mehr die Angst davor verliere, Entscheidungen zu treffen, die in den Augen der anderen – auch, der Menschen, die ich liebe und die mich lieben – unpopulär, verantwortungslos oder kindisch sind. Ich glaube, das ist tatsächlich ganz schön erwachsen.
Autorin
Stephanie Fuchs-Mayr
Stephie schreibt für uns die monatliche Gesellschaftskolumne und erzählt uns Geschichten, die in die Tiefe gehen. Und uns so zum Nachdenken anregen. Mehr über Stephie …
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